Freitag, 24. Februar 2012

Provence-Nacht

Provence-Nacht


Die Nachtkühle hat sich auf das heisse Land gelegt.
Die Luft ist leise geworden und die Olivenbäume stehen still.
Frosch und Kröte singen ihr uraltes Lied von Jahrtausenden und die Grillen spielen ihr Streichkonzert dazu.
Das Käuzchen ruft und ein zweites antwortet von ferne.
Katzen schleichen und Hunde bellen von weit her.
So voll der Tag von Geräuschen war, so ist die Nacht von Gerüchen voll. Und über all dem wölbt sich weit und hoch das Sternenmeer des Himmels.
Oben flitzt eine Sternschnuppe schräg - schneller als das Auge blickt - lautlos, eine leuchtende Spur hinterlassend. Das Auge wandert vom Sirius empor - von Lichtpunkt zu Lichtpunkt. Der Geist zieht hinaus in unfassbare Räume und aus den Sternen fliesst Sehnsucht herab.
All diese fernen Welten, zu unergründlichen Mustern gefügt welche der Mensch mit Bedeutung zu füllen versucht. So gross uns unsere Erde auch scheinen mag, so sind angesichts dieser Welten im All unsere Sorgen und Alltäglichkeiten bloss Staub.
Und doch bin ich durch den Schein der Sterne mit ihnen verbunden und auf unerklärliche Weise auch durch meine Gefühle von ihnen berührt.
Und wieder rast so eine Linie von Licht quer über das Firmament. Ich wollte mir was wünschen, doch die Schnuppe war schneller und ich sitze noch immer hier unten.
Der Frosch quakt weiter sein Lied - sorglos und unschuldig wie immer, oder begreift er am Ende etwa mehr von all dem als ich hier auf meinem Stuhl? Die Käuzchen besingen sich noch immer und meine Seele ist von den Sternen zurückgekehrt. Sirius ist weitergerückt und die Sternenpunkte trüben sich. Mir scheint, als seien auch die Geräusche der Nacht leiser geworden und ich alleiner...
Ich mag noch nicht schlafen gehen. Es ist so schön hier, doch woher kommt diese Trauer?
Oder ist es Sehnsucht - und was sucht denn mein Sehnen?
Ist vielleicht da draussen irgendwo in dieser Unermesslichkeit verloren meine wahre Ur-Heimat?
Was mein unendliches Seelenwesen weiss, kann mein endliches Bewusstsein nicht erfassen.
Ich danke euch - Sternenwesen an meinem Nachthimmel - dass ihr uns Menschenwesen durch euren Anblick weich werden lasst. Dass wir angesichts eurer Zahl und Grösse wieder Kinder werden können - unschuldig und staunend.
Mein Sehnen in eurem Licht öffnet mein Herz und gibt mir Kraft, lässt meine Seele fliessen und hilft mir und all meinen Schwestern und Brüdern verzeihen. Nun geh' ich doch zu Bett und lasse im Schlafe meinen Körper zurück. So schwinge ich mich empor und komme zu euch.
Ich werde baden in eurem Licht - ich werde eure unerhörten Gesänge hören - und ich werde mit euch singen und all das verstehen, was Verstand nicht zu fassen vermag.
Auf der lautlosen Lichtspur werde ich reiten - quer über den Nachthimmel und ihr werdet mit eurem silbernen Licht mir all meine Ängste verbrennen. Ich werde für eine Nacht heimkehren zu euch und weinen vor Freude. Wega wird mich trösten und Andromeda mich küssen - und dann werde ich sehen, dass viele Menschenseelen auch bei euch sind, dass auch sie alle Trost und Kraft und Freude erhalten.
Und ich werde hoffen, dass wir alle morgen unsere Herzen nicht wieder verschliessen.
Ich danke euch, ihr fernen leuchtenden Wesen.


vor 1998 // Bär

Steinbildhauer


JAHRTAUSENDALTES WESEN 
IM ROHEN STEIN - DIE KNOCHEN 
DER ERDENMUTTER, VERBORGENE 
GESCHICHTEN ENTHALTEND - RUFST 
DIE MEISSELHÄNDE DES SEHNENDEN 
LITHOMANEN UND STAHL ENTHÜLLT 
FORM UND FIGUR - STEINWESEN 
NIMMT DAS MENSCHENWESEN IN 
SICH AUF UND LÄSST SICH IN 
SEINE FORM MEISSELN ZU NEUER 
GESTALT FÜR WEITERE JAHRHUNDERTE. 
DANK AN DICH - GROSSVATER IM STEIN ••• 

Bär 1998